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Aus der Presse …

ZÜRCHER MAGAZIN: "Hinter dem Ofen ist mo wol"

 

Dank dem geschlossenen Heizkörper wurde die Wohnung vom Rauch befreit und eine gleichmässigere und länger andauernde Wärmeabgabe erzielt. Die Wärme abstrahlende Oberfläche wurde durch die in Ofenwänden und -kuppeln eingesetzten, nach innen gewölbten Kacheln (von lateinisch "cacabus" = Kochgeschirr) vergrössert. Die Behaglichkeit, die schon von diesen frühen Modellen ausgegangen sein muss, stellt eine Freskomalerei aus Konstanz bildlich dar. Sie zeigt eine neben einem Kachelofen ruhende Frau und trägt die Inschrift "hinder dem ofen ist mo wol".

Der Kachelofen als besondere Quelle der Wärme

Seit tausend Jahren dient der Kachelofen als besondere Quelle von Wärme und Behaglichkeit. Die Tradition dieser Heizkörper reicht bis ins 10. Jahrhundert zurück. Fredi Mathys, Hafner aus Seuzach, kennt die Geschichte des Kachelofenbaus aus eigener Anschauung. Er hat den ältesten Kachelofen rekonstruiert, die teuersten Turmöfen wieder aufgebaut, traditionelle Stücke restauriert und modernste Designerstücke realisiert.

"Ein Kachelofen ist das Herz des Hauses", sagt Hafner Fredi Mathys. Das gelte sowohl für historische Öfen als auch für moderne Speicheröfen, wie einer von ihnen in der Wohnung der Familie Lehmann in Schachen (Glattfelden) steht. Das von Mathys dort erbaute Designer-Stück dominiert den offenen Raum, der Wohnzimmer, Esszimmer und Küche umfasst, und besticht durch seine eigenwillige Form: Neben dem eigentlichen Heizkörper, der von der Küche her befeuert wird, schwingt sich eine Ofenbank als Raumteiler zwischen Wohn- und Esszimmer. Die warme Liegestelle ist nicht nur optisches Zentrum: Er ist der Ort, an dem sich die fünffache Mutter Erika Lehmann entspannen kann, auf dem Vater Hans-Ulrich sich abends ausruht und um den sich die Kinder in der kälteren Jahreszeit scharen.
 

Seit tausend Jahren

Mathys weiss um die besondere Anziehungskraft der Kachelöfen. Die Ausstrahlung von Wärme verbreitet Gemütlichkeit. Das ist schon seit über tausend Jahren so. So weit zurück kann die Geschichte des Kachelofens verfolgt werden. Um etwa 900 nach Christus entstanden die ersten Kachelöfen anstelle der früher offenen Feuerstellen, welche zum Heizen und Kochen gedient hatten.

Dank dem geschlossenen Heizkörper wurde die Wohnung vom Rauch befreit und eine gleichmässigere und länger andauernde Wärmeabgabe erzielt. Die Wärme abstrahlende Oberfläche wurde durch die in Ofenwänden und -kuppeln eingesetzten, nach innen gewölbten Kacheln (von lateinisch "cacabus" = Kochgeschirr) vergrössert. Die Behaglichkeit, die schon von diesen frühen Modellen ausgegangen sein muss, stellt eine Freskomalerei aus Konstanz bildlich dar. Sie zeigt eine neben einem Kachelofen ruhende Frau und trägt die Inschrift "hinder dem ofen ist mo wol".

Ofen-Fund in Winterthur

Wohl wars wohl auch den Bewohnern jenes Hauses, das einst an der Winterthurer Metzggasse gestanden hatte. In den Ueberresten dieses Wohnhauses, das 1208 gebaut wurde und um 1300 niedergebrannt war, fanden Archäologen die Bruchstücke eines mittelalterlichen Kachelofens. Da dieser Fund praktisch vollständig war, liess sich daraus erstmals ein solcher Ofen rekonstruieren.

Dafür wurden nicht die Originalteile verwendet. Fredi Mathys fertigte anhand der Funde und der Skizzen eine originalgetreue Nachbildung des Ofens an, die heute in der Kyburg ausgestellt ist. "Im Prinzip waren diese ersten Kachelöfen einfache, viereckige Kästen, in denen Feuer gemacht wurde", erklärt Mathys. Heute werden mehrschalige Ofenwände eingesetzt, die im Zentrum von Rauchgaskanälen durchzogen sind, um die Wärme besser zu verteilen und effizienter nutzen zu können.

Erinnerung warm halten

Rund tausend Jahre liegen zwischen dem historischen Kachelofen aus Winterthur und dem Ofen der Familie Lehmann in Glattfelden. Doch trotz technischer Fortschritte hat das Prinzip des Wärme abstrahlenden Kachelofens nichts von seiner Faszination eingebüsst. Vielleicht auch, weil Kachelöfen mehr als nur Wärmespender sind: Sie strahlen Individualität und Unvergänglichkeit aus. Ein jeder hat seine eigene Geschichte.

Zum Beispiel jener, der seit kurzem in der Bibliothek des Wohnhauses von Heinz und Marie-Luise Albers-Schönberg-Hürlimann am Zürichberg steht. Er erzählt die Geschichte eines reichen Bauernsohnes aus der Familie Hürlimann, welcher im letzten Jahrhundert ausgedehnte Landwirtschaftsflächen am Zürichberg besass. Im Jahre 1860 kam dieser Bauernsohn über eine Erbschaft zu viel Geld, beschloss, fortan ein feudaleres Leben zu führen und baute sich inmitten von Rebland eine Villa - die "Marienburg". Im Erdgeschoss des Hauses liess er einen weissen Kachelofen erstellen.

Später durfte Enkelin Marie-Luise Albers-Schönberg-Hürlimann gemeinsam mit ihrem Mann Heinz diese Villa bewohnen. 18 Jahre lang genossen sie das

Leben in der "Marienburg": "Wir haben das schönste Stück unseres Lebens mit diesem Ofen geteilt", sagt Heinz Albers. Eine Zeit, in der zuerst die Familie und dann die Kinder grösser wurden. Doch dann mussten sie ausziehen, weil das Familienerbe geteilt werden sollte. Die "Marienburg" wurde abgebrochen, um zwei Mehrfamilienhäusern Platz zu machen, die sich besser unter den Erbberechtigten aufteilen liess. "Wir verliessen das Haus unter Tränen", sagt Albers. Die Villa mitsamt ihrem prächtigen Baumbestand verschwand. Geblieben ist die Erinnerung und der sorgfältig abgebrochene Ofen - in Kisten verpackt und eingelagert. 25 Jahre später, als der Schopf am neuen Wohnort zu einer Bibliothek umgebaut wurde, stiess Albers wieder auf die Kisten. Fredi Mathys wurde engagiert, den Ofen aufzubauen. Zwar wird er hier elektrisch beheizt, doch das tut der Freude der Besitzer keinen Abbruch: der Ofen hält Erinnerungen warm. Und "er wird der Familie auch nach unserem Tod noch erhalten bleiben", sagt Albers.

Der Kachelofen – Zeugen der Zeit

Jeder Ofen ist ein Zeitzeuge. Die meisten überdauern Generationen. Während der schlichte Ofen in Albers Bibliothek seine Geschichte nicht direkt Preis gibt, erzählen andere auf ihren Kacheln viel: Zum Beispiel die Zürcher Rathausöfen, die von Fredi Mathys im Landesmuseum wieder aufgebaut wurden.

Sie gehören zu den vielen Turmöfen, die im 16. und 17. Jahrhundert in Winterthur hergestellt wurden und sind die optisch wie technisch hervorragensten Vertreter dieser Kunsthandwerks-Gattung. Auf den Kacheln der Winterthurer Öfen aus dieser Zeit sind Kriegs-Szenen abgebildet, werden Stadt-Ansichten aus vergangenen Zeiten und Porträts bekannter Persönlichkeiten gezeigt.

Nicht nur das Zürcher Rathaus, sondern viele andere Rathäuser, aber auch Schlösser und Wohnhäuser wurden während zweier Jahrhunderte mit solchen Kunstwerken ausgestattet. Bis Ende des 16. Jahrhunderts beherrschte die Familie Huser die Winterthurer Ofenhafnerei, danach traten die Familien Erhart, Graf und Pfau die Nachfolge an.

Die Zürcher Rathausöfen im Landesmuseum wurden von David Pfau gebaut, die Kachelbemalungen stammen von Ofenmaler Hans Heinrich Pfau - grosse Namen, denen Fredi Mathys mit Respekt begegnet, wann immer er ein solch historisches Stück zu restaurieren hat. Er will solche Kunstwerke möglichst im ursprünglichen Zustand bewahren. Bewusst tönt der Hafner bei seinen Arbeiten diejenigen Flickstellen, von denen er nicht weiss, wie sie ursprünglich bemalt waren, nur leicht ein und übermalt sie nicht nach eigenem Gutdünken. "Alles andere wäre eine Fälschung." Auch frühere Reparaturen werden nicht übertüncht. "Die Spuren der Zeit sollen erhalten bleiben", sagt er - nicht zuletzt aus Denkmalschutzgründen.

Gemütlichkeit im Zentrum

Nicht nur die reich verzierten Winterthurer Turmöfen stehen unter Schutz. Viele Kachelöfen, die noch heute in Bauernhäusern in Betrieb sind, geniessen ebenfalls die Aufmerksamkeit der Denkmalpflege. So auch jener Ofen, der in der Stube der Familie Mathys steht.

Rund zweihundert Jahre wärmte er das Innere eines Bauernhauses in Hettlingen. Das Haus wurde abgebrochen, der Ofen mit seinen goldenen Knöpfen am Rand musste erhalten werden. Die Denkmalpflege wollte Mathys mit der Dokumentation und dem Abbau des Ofens betrauen. Der niedere, weit in die Stube reichende Kachelofen, gefiel dem Hafner aus Seuzach jedoch so sehr, dass er ihn dem Besitzer abkaufte und bei sich zu Hause wieder aufbaute.

Nun spendet er dort Wärme. Fredi Mathys hat schon viele Öfen abgebaut, neu geplant und umgebaut. Warum hat er sich gerade für diesen Kachelofen entschieden? "Für mich persönlich ist es wichtig, dass ich einen Bezug zum Ofen habe", sagt er. Da er die Familie, von der er den Ofen übernehmen konnte, kannte, war ihm auch ein Stück von dessen Geschichte bekannt. "Ausserdem hat mir das unregelmässige Muster dieser von Hand gemachten Kacheln sehr gut gefallen", erklärt der Hafner. Und: "Dieser Kachelofen passt einfach in das Haus." Fredi Mathys auch - ein bescheidener Handwerker in einem sanft renovierten Bauernhaus, in dessen Herzen ein schlichter Ofen strahlt.

Etwas verbindet den Hafner aus Seuzach mit den meisten Freunden von Kachelöfen: "Wer Kachelöfen liebt, ist ein Geniesser-Typ", bringt Mathys die Gemeinsamkeit auf den Punkt. Das gilt für das auf Tradition bedachte Ehepaar Albers-Schönberg-Hürlimann am Zürichberg ebenso wie für die moderne Familie Lehmann in Glattfelden.
Wer weiss, vielleicht erzählt auch Lehmanns Kachelofen dereinst Geschichten aus längst vergangenen Zeiten. Hoffentlich sind sie ebenso schön wie der Ofen selbst.